„Resilienz – das Geheimnis der inneren Stärke“…

Es gibt Menschen, die schwierigste Lebensbelastungen bewältigen, bei denen man sich wundert, dass sie psychisch nicht zerstört sind, beispielsweise nach Trennungen, Niederlagen, Tod, Gewalt, Missbrauch, Einsamkeit. Resilienz bedeutet in der Biologie: Elastizität, Spannkraft, Schwung, Beweglichkeit. In der Psychologie meint es die Widerstandskraft, die Menschen Krisen meistern und Schweres bewältigen lassen. Resilienz ist der Wille zu überleben. Dies beinhaltet die psychische und physische Stärke, die es Menschen ermöglicht, Lebenskrisen ohne langfristige Beeinträchtigung zu meistern. Resilienzforscher suchen seit fast dreißig Jahren nach den Faktoren, die einen Menschen ertragen lassen, was den anderen zerstört. Ausgelöst wurde das Forschungsinteresse u.a. durch die Beobachtung, dass nicht alle Kinder, die in extrem belastenden Verhältnissen aufwachsen, in ihrer Entwicklung beeinträchtigt sind und nicht alle später als Erwachsene zwangsläufig mit den Folgen ihrer Kindheitsereignisse zu kämpfen haben. Wieso können manche Menschen mit ihren Furchen und Narben leben und andere verzweifeln am „Kratzer“? Unser Leben stören, verstören oder sogar zerstören – das kann vieles schon in der Kindheit. Belastungen der Mutter während der Schwangerschaft, Armut, Arbeitslosigkeit, Scheidung der Eltern, unzureichende Grundversorgung – Risikofaktoren fern jeder Leichtigkeit. Faktoren, die einen Unterschied machen, sind bei „ resilienten“ Kindern im Gegensatz zu „auffälligen“:

  • Stabile emotionale Beziehung zu einem Erwachsenen (Eltern, Onkel, Tante, Nachbarn, Lehrer etc.)
  • Menschen, die als soziales Vorbild dienen und zeigen, wie Probleme konstruktiv gelöst werden können
  • Früh Leistungsanforderungen zu bewältigen (ein Amt in der Schule, die Versorgung jüngerer Geschwister etc.)

Sind wir erwachsen, können Trennung, Krankheit, das Ende einer Liebe, Tod, Naturkatastrophen etc. folgen. Unendlich ist, was einem den Atem nehmen kann im Laufe eines Lebens. Um als resilient zu gelten, ist es offenbar wichtig, die Fähigkeit zu haben, die eigene Situation irgendwie verändern zu können, kein Opfer zu sein. Erwerben kann man den Glauben, sein Schicksal zähmen zu können, am leichtesten in den ersten zehn Jahren, sagen Forscher, aber ein Teil jener „Glückshaut“ scheint auch angeboren: z.B. ein pflegeleichtes Temperament schon als Baby und Kleinkind. Manche Menschen werden mit der Fähigkeit zur Resilienz geboren. Kinder und Erwachsene, die in Studien als resilient galten, wurden als freundliche, gut gelaunte und herzliche Menschen beschrieben, die sich schnell neuen Bedingungen anpassen. Und auch die, die unter schwierigsten Bedingungen aufwuchsen, hatten eine fürsorgliche Bezugsperson innerhalb oder außerhalb der Familie. Resiliente, ob aus schwierigen oder harmonischen Familien, fühlen sich akzeptierter als andere, wissen, wie man soziale Konflikte löst und Unterstützung mobilisiert. Ihr Selbstwertgefühl ist hoch und sie haben oft dauerhafte Freundschaften. Sie wachsen an Krisen und nutzen diese als Chance. Resilienz und ihre Entwicklung ist jedoch nicht auf die Kindheit beschränkt, sie zieht sich ein Leben lang durch. Demnach ist Resilienz eine Fähigkeit, die jeder Mensch aufbauen und lernen kann. Auch Erwachsene sind zu jedem Zeitpunkt ihres Lebens in der Lage, ihre Widerstandskraft zu schulen. 

Wie und wodurch entsteht die Möglichkeit Widerstandskraft zu lernen? 

Über die Eigenschaften, die ein Mensch haben muss, der das Puzzle seines Lebens, seines Ichs, aus eigener Kraft wieder zusammenfügt, sind sich Forscher einig: 


Beziehungsfähigkeit, Hoffnung, Selbstständigkeit, Fantasie, Kreativität, Unabhängigkeit Humor, Entschlossenheit, Mut, Einsicht, Reflexion

Das ist das Gerüst, das uns hält, wenn wir in Krisensituationen standhalten. Aber kann man das erlernen? Auch hier sind sich die Forschungen einig, durch Disziplin und Ausdauer kann man seine Resilienz steigern, ein überschaubares praktisches Handwerkszeug sind die sieben Säulen des „Resilienz-Konzeptes“:


Optimismus, Akzeptanz, Lösungsorientierung, Opferrolle verlassen, Verantwortung übernehmen, Netzwerk-Orientierung, Zukunftsplanung


Das Geheimnis der inneren Stärke könnte man auch mit dem Kochen eines Eintopfes vergleichen. Aus den sieben o.g. Zutaten entsteht der Eintopf. Der eine braucht mehr Fleisch, der andere mehr Kartoffeln, dem anderen fehlen die Vitamine. Manchmal hat man eine Zutat nicht vorrätig und muss improvisieren. Wenn beispielsweise niemand da ist, der zuhört – also die Säule Netzwerk ausfällt – kann eine Idee sein, im Alleingang beginnend nach Lösungen zu suchen.


Resilienz, ein Weg Krisen zu bewältigen?


Der amerikanische Familientherapeut H. N. Wright vergleicht einen resilienten Menschen mit einem Boxer, der im Ring ausgezählt wird, aufsteht und danach eine völlig neue Taktik wählt. Nichtwiderstandsfähige Personen ändern ihren Stil nicht, sondern lassen sich erneut niederschlagen. Sie machen, so Wright, zwei Fehler: Sie verfluchen ihre Krise. Legen ihre ganze Aufmerksamkeit in die Entstehung und ins Problem selber, aber über die Frage, wie es gelöst werden könnte, denken sie eher nicht nach. Resiliente Menschen gehen mit Schicksalsschlägen und Niederlagen völlig anders um. Aus der bislang vorliegenden psychologischen Forschung lassen sich folgende Kennzeichen resilienter Menschen festhalten:


1. Akzeptanz der Krise und die damit verbundenen Gefühle


In Krisenzeiten nehmen sich resiliente Menschen Zeit. Sie wissen: Weglaufen gilt und hilft nicht. Bewusst ist ihnen, dass sie derzeit auch keinen klaren Gedanken fassen können. Geschweige denn, eine Entscheidung fällen können. Sie gehen davon aus, dass es eine Zeit geben wird, in der sie wissen werden, was zu tun ist. Bis dahin suchen sie sich einen Ort, an dem sie sich wohl fühlen (das eigene Bett, ein Ort in der Natur etc.) – und lassen ihren Gefühlen freien Lauf. Sie schämen sich nicht ihrer Tränen, ihrer Wut oder ihrer Ängste und frieren ihre Emotionen nicht ein.


2. Suche nach Lösungen


Menschen haben die Möglichkeit, unterschiedlich auf Krisen zu reagieren. Beispielsweise durch Klagen: „Warum passiert gerade mir das? Womit habe gerade ich dieses Unheil verdient? Ich überlebe dies nicht…“
Es gibt auch die Möglichkeit, es anders zu sagen: „Ich habe nicht erwartet, dass mir dieses Schicksal passiert. Es liegt nicht in meiner Macht, es ungeschehen zu machen. Vor mir liegt eine schwierige Zeit, was kann ich tun, damit ich diese meistern kann?“ Resiliente Menschen wählen die zweite Möglichkeit. Sie entscheiden, welche Folgen das Geschehene für sie haben könnte.


3. Problemlösung nicht allein


Ein wichtiges Merkmal der Resilienz ist, dass krisenerschütterte Personen Bereitschaft zeigen mit anderen über ihre Sorgen zu reden. Sie versuchen nicht, die Probleme im Alleingang zu lösen. Psychologische Studien haben schon vielfach darauf hingewiesen, dass Menschen, die in Netzwerken seien es Familie, Freunde, etc. eingebunden sind, besser mit Schicksalsschlägen umgehen können. Resiliente suchen adäquate Ansprechpartner in ihrer Not. Sie suchen Menschen, die sich nicht von Gefühlen verunsichern lassen, die empathisch und unterstützend sind und sie an ihre Ressourcen erinnern. Sie meiden Menschen, die Sprüche klopfend unterstützen: „Andere Mütter haben auch schöne Söhne.“, „Anderen geht es viel schlechter.“ usw.


4. Nicht als Opfer fühlen


Menschen, die in Krisen stecken, sind häufig ohne Hoffnung auf Änderung, sehen alles grau in grau und betrachten sich als Opfer der Umstände. Auch resiliente Menschen haben zuweilen Opfergefühle, wie „ich weiß nicht, was ich tun soll; ich kann nicht…, niemals mehr werde ich mich verlieben … usw.“. Doch nach einer gewissen Zeit schaffen sie es, anders über ihre Situation zu denken. Anstatt „ich kann nicht“, wählen sie Worte wie „ich will es versuchen, ich probiere etwas anderes…“.


5. Optimistisch bleiben


Resiliente Menschen bleiben optimistisch. Ohne die feste Überzeugung, dass sich die Dinge irgendwann zum Positiven wenden werden, ist Widerstandsfähigkeit nicht denkbar. Dieser gesunde Optimismus meint nicht positives Denken. Beim positiven Denken wird die Realität verleugnet. Optimistisches Denken dagegen respektiert die Realität und geht davon aus, dass negative Ereignisse begrenzt sind und auch wieder bessere Zeiten zu erwarten sind. Des Weiteren verallgemeinern optimistisch denkende Menschen nicht. Bei einer Niederlage denken sie nicht: „Ich tauge nichts“, sondern „… dieses Mal ist es mir nicht gelungen, das nächste Mal wird es klappen …“.


6. Sich nicht selbst die Schuld geben


Zu Beginn einer Krise sind auch Schuldgefühle die Regel. Betroffene quälen sich mit Selbstvorwürfen, „… hätte ich besser aufgepasst, dann …“, „… hätte ich ihr mehr Aufmerksamkeit zuteil werden lassen, dann wäre sie noch da …“.
Resiliente Menschen entscheiden sich relativ bald, diese Art der Selbstanklage zu unterlassen und ihren eigenen Anteil an der Krise einzuschätzen. Sie erkennen auch, was andere oder die Bedingungen dazu beigetragen haben. Dies gilt als gute Prophylaxe, das eigene Selbstwertgefühl zu erhalten. Je größer dieses ist, desto besser die Chance, einen Schicksalsschlag zu überwinden.


7. Zukunftsorientiert planen


Resiliente Menschen halten nichts für selbstverständlich. Sie rechnen mit den Wechselfällen des Lebens und sind gedanklich damit beschäftigt, was nicht bedeutet, permanent über etwas zu grübeln. Die Frage „Was wäre wenn…?“ stellen sie sich auch gelegentlich in Zeiten, in denen es keine Veranlassung dazu gibt. Dadurch sind sie auf die regelhaften Zäsuren im Lebenszyklus wie Heirat, Geburt, Tod der Eltern, Älterwerden, Berufswechsel, Scheidung gedanklich vorbereiteter. Es trifft sie mental nicht völlig unvorbereitet.
Resiliente klammern sich demzufolge nicht an Menschen, Ideen, Dinge, die ihnen Schmerzen bereiten. Sie haben eher die Haltung, es ist, wie es ist, und nichts lässt sich festhalten. Das Gute nicht, das Schlechte nicht. Sie halten Niederlagen für vorübergehend und betrachten Probleme als Herausforderung, an denen es zu wachsen gilt. Hieraus resultierend, kann die persönliche Widerstandsfähigkeit als Möglichkeit und Chance der Krisenbewältigung in allen Lebensphasen (mit) auf- und ausgebaut werden. vgl.: Birgit Wolter systhema 3/2005 · 19. Jahrgang · Seite 299-304