Themen wie Gesundheit, Krankheit, Pflege und Pflegenotstand sind nicht zuletzt auf Grund der aktuellen Entwicklungen in aller Munde. Manchmal entsteht dabei der Eindruck, als sei Krankheit und Pflegebedürftigkeit im Alter für viele von uns ein unabdingbares Schicksal. Die politische und gesellschaftliche Diskussion zum Thema beinhaltet fast ausschließlich Finanzierungsprobleme, steigende Kosten und den Personalnotstand. Sollte es vor diesem Hintergrund nicht auch erlaubt sein, sich damit zu beschäftigen, wie Pflegebedürftigkeit vermieden und Menschen gesund lange leben können? Das Thema Prävention spielt in der gesamten Pflegediskussion jedoch kaum eine Rolle. Dabei könnte mit gezielter Prävention der Anteil derjenigen, die pflegebedürftig werden, deutlich reduziert werden. Nötig wären dazu neue Ansätze in der Gesundheits- und Bildungspolitik. Ziel könnte es sein, dass Menschen gesünder und bewusster leben wollen und mehr Eigenverantwortung für ihre Gesundheit übernehmen. Hierzu gehört ein neues präventives Gesundheitssystem, das darin interessiert ist, dass Menschen gesund bleiben und dabei ihre Eigenverantwortung und Selbstwirksamkeit stärken.

Wie sollte das geschehen? 

Eine wichtiger Schritt wäre, eine noch bessere Ausbildung unserer Ärzte und ArbeitnehmerInnen in den Gesundheitsberufen u.a. nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse der Hirnforschung, Psychoneurobiologie und Epigenetik, um Menschen zu inspirieren und dabei zu unterstützen, mehr Eigenverantwortung zu übernehmen, und sie dafür zu sensibilisieren, ihre natürlichen Selbstheilungskräfte zu mobilisieren. Um dies zu erreichen, sollten Ärzte auch für die Gesundheitsberatung und -erhaltung bezahlt werden und nicht nur für das Behandeln von Krankheiten.

Erzieher, Lehrer Sozialpädagogen, Psychologen und Eltern sollten ebenfalls für Prävention sensibilisiert und qualifiziert werden. Schon in der Kindeserziehung, in Kindergarten und Schule sollte Gesundheitsförderung ein fester Bestandteil der Bildung sein. Dies hätte erheblichen Einfluss auf einen gesunden Lebensstil und damit die Gesundheit bis ins hohe Alter. 

Derzeit ist unser Gesundheitssystem entlang der Pathogenese ausgerichtet, also entlang des Ziels, Krankheiten zu verstehen und zu bekämpfen. Nötig ist aber ein Gesundheitssystem, welches sich an der Salutogenese orientiert, einem Konzept, welches der israelisch-amerika- nische Medizinsoziologe Aaron Antonovsky entwickelt hat und das sich damit beschäftigt, wie Gesundheit entsteht. Auch der Arbeitsplatz ist ein ausgezeichneter Ort für Prävention. Immer mehr Unternehmen engagieren sich im Bereich des Betrieblichen Gesundheitsmanagements. Sie tun dies natürlich in erster Linie nicht, um einer späteren Pflegebedürftigkeit entgegen zu wirken, sondern um die Gesundheit und Leistungsfähigkeit ihrer Arbeitnehmer zu fördern, weil das Auswirkungen auf die Produktivität und die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens hat. Immer mehr Unternehmen sind durch den Fachkräftemangel darauf angewiesen, ihre Mitarbeiter auch über das Rentenalter hinaus fit zu halten, um sie weiterbeschäftigen zu können. 

Auch hier bedarf es einer Veränderung : Im Sinne eines Betrieblichen Gesundheits- und Leistungsmanagement (BGLM) sollten Unternehmen ihre Strukturen und Arbeitsprozesse anpassen und verändern, um für ihre Mitarbeiter gesundheitsfördernde Arbeitsbedingungen zu schaffen. Dies geht nicht von heute auf morgen, sondern nur Schritt für Schritt in langsamen und komplexen Lern- und Veränderungsprozessen, die sich an realistischen Zielen orientieren. Unternehmen können hier noch sehr viel tun, um durch kluge und nachhaltige Maßnahmen Erkrankungen und Fehlzeiten von Mitarbeitern zu reduzieren. Ziel sollte es sein, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in eigener Verantwortung für ihre Gesundheit und Leistungsfähigkeit sorgen können – etwa durch gutes, wertschätzendes Arbeitsklima, Arbeitsorganisation mit der Möglichkeit zu selbstständiger Aufgabenerledigung,Vielfalt der Anforderungen, Handlungsspielraum, Autonomie, Entscheidung und Kontrolle, entsprechende Arbeitszeiten und Pausen für ausreichende Erholung, ausgewogenes Gleichgewicht zwischen Arbeit und Privatleben (Work-Life-Balance), ergonomische Gestaltung des Arbeitsplatzes, Zufriedenheit mit den Einkommensregelungen, Möglichkeiten zur sozialen Interaktion, Kooperation und Kommunikation, Möglichkeiten zur Fortbildung und Weiterentwicklung im Beruf, Einhalten arbeitsschutzrechtlicher Bestimmungen und Vermeidung schädigender Umgebungseinflüsse sowie das Angebot einer externen Mitarbeiter- und Gesundheitsberatung, die nicht zuletzt auch dabei unterstützt eine Beratung anzubieten, die bei allen Fragen hilft, die auftauchen, wenn ein Angehöriger zum Pflegefall wird. Unsere alternde Bevölkerung lässt einige Unternehmen sogar schon darüber nachdenken, nicht bloß betriebliche Kindertagesstätten, sondern auch betriebliche Altentagesstätten aufzubauen; was heute noch die Ausnahme ist, könnte bald schon gang und gäbe sein. Sinnvoll wäre, dass der Staat die Unternehmen, die im Bereich „Elder Care“ Verantwortung übernehmen, steuerlich entlastet. 

Zusätzliche Stellen in der Pflege zu finanzieren, ist ein positives Signal, löst jedoch nicht das Problem der fehlenden Fachkräfte. Es werden sich in der kurzen Zeit nicht so viele Bewerber finden oder zurückholen lassen. Eine Aufwertung von Pflegeberufen, zum Beispiel des Altenpflegerberufs, ist dringend geboten. Beschäftigte in diesem Bereich sollten besser bezahlt werden und mehr Entlastung und Wertschätzung erhalten für den wichtigen Beitrag, den Sie für unser Gesundheitssystem leisten.

(Quelle: vgl. Süddeutsche Zeitung, 01.06.2018)